Deutschbaltischer Adel


von Christopher Toll

Vortrag von Professor Dr. Christopher von Toll im Goetheinstitut in Stockholm am Donnerstag den 18. April 2002

In diesem Vortrag gebe ich zuerst einen Überblick über die Geschichte des deutschbaltischen Adels von frühester Zeit bis heute und danach auf besonderen Wunsch einige Vorschläge, wie man genealogische Forschung hinsichtlich deutschbaltischer adliger Familien betreiben kann. Dazwischen werde ich unaufgefordert wie ein Trio, den leichteren eingeschobenen Satz in einem Marsch oder einem Menuett, einige Pratchen, einige Anekdoten, einfügen, welche die Balten so gerne haben, und einige genealogische und kulturelle Kuriositäten. Pratchen gehört im übrigen zu den Wörtern, die aus der Schwedenzeit stammen wie Spanne für Eimer und Schaffrei für Vorratskammer.

Inhalt:

1.Die Geschichte des deutschbaltischen Adels 7.Das zwanzigste Jahrhundert 13.Zeitschriften
2.Livland schwedisch 8.Ein leichteres Zwischenspiel 14.Urkundenpublikationen
3.Russische Adlige im schwedischen Dienst 9.Die Familie Toll 15.Archivstudien
4.Schwedische Familien im Baltikum 10.Wappen 16.Über den Autor
5.Die Reduktion Karl XI 11.Deutschbaltische adlige genealogische Forschung  
6.Die Niederlage von Karl XII 12.Bücher über adlige Familien  

1. Die Geschichte des deutschbaltischen Adels

Das Baltikum scheint am Rande Europas zu liegen, von den Kulturländern isoliert, und fünfzig Jahre sowjetischer Okkupation haben sicher diesen Eindruck verstärkt. Aber das Baltikum liegt an der Ostsee, und seit ältester Zeit hat Wasser eher verbunden als getrennt. Deshalb gehörte ja Finnland zu Schweden und Schonen zu Dänemark. Über das Wasser der Ostsee kamen im dreizehnten Jahrhundert Deutsche und Dänen und bekehrten das Baltikum, und dort wurde das weiße Kreuz auf rotem Grund der Johanniter zum Dannebrogen, der dänischen Flagge. Nachdem der Deutsche Orden 1346 Estland von dem dänischen König Valdemar Atterdag gekauft hatte, herrschten im Baltikum außer dem Deutschen Orden eine Reihe selbständiger Bischöfe - der Erzbischof von Riga und die Bischöfe von Dorpat, dem kurländischen Pilten und von Oesel-Wiek, alle unter der Oberhoheit des deutsch-römischen Kaisers. Ab zirka 1420 gab es einen livländischen Landtag, der aus dem Ordensmeister, den Bischöfen, deren adligen Vasallen und Vertretern der Hanse bestand.

Mit dem Deutschen Orden kamen dessen Ritter ins Baltikum, während die Bischöfe gezwungen waren, ihre Stifte mit aus Deutschland geworbenen Kriegern zu verteidigen und während der dänischen Zeit mit Kriegern aus Dänemark; jedoch kamen bemerkenswert wenige Dänen ins Baltikum. Zu den ältesten Familien, die bereits im dreizehnten Jahrhundert Vasallen der Bischöfe wurden, gehören Ungern, Rosen, Tiesenhausen und Uexküll und die ursprünglich dänische Familie Taube. Mitglieder aller dieser Familien gehörten später auch zum schwedischen Adel. 1524 trat die baltische Ritterschaft der evangelischen Lehre bei und aus dieser Zeit stammt das Wappen der Oeselschen Ritterschaft mit den Buchstaben DWGBE: "Das Wort Gottes bleibt ewiglich".

1558 stürzte sich Ivan der Schreckliche über das Baltikum. Der Ordensmeister Gotthard Kettler bat Polen um Hilfe, was dazu führte, daß Teile von Livland unter polnische Herrschaft kamen. Reval und die Ritterschaft in den umgebenden Landschaften Harrien und Wierland wollten sich nicht einer katholischen Macht unterordnen und wandten sich deshalb an Schweden und 1560 bestätigte Erich XIV alle ihre früheren Privilegien. 1559 waren die Stifte Ösel-Wiek - Wiek auf dem estnischen Festland - und Pilten in Kurland an den dänischen König verkauft worden, der sie seinem Bruder Herzog Magnus schenkte. Bei der Auflösung des Deutschen Ordens 1561 fiel dessen Teil von Kurland an das Herzogtum Kurland, das unter polnischer Oberhoheit stand. 1568 verlor Magnus jedoch Ösel an den schwedischen Feldoberst Claes Kursell und 1585 fiel Pilten an das Herzogtum Kurland. In diesen verwirrten Zeiten blieb lediglich Riga unter dem deutsch-römischen Kaiser selbständig, bis es 1581 von Polen erobert wurde. Gleichzeitig eroberte der Feldherr Pontus de la Gardie Estland für schwedische Rechnung von Rußland.

Im Jahr 1558 stürzte sich Ivan der Schreckliche über das Baltikum. Der Ordensmeister Gotthard Kettler bat Polen um Hilfe, was dazu führte, daß Teile von Livland unter polnische Herrschaft kamen. Reval und die Ritterschaft in den umgebenden Landschaften Harrien und Wierland wollten sich nicht einer katholischen Macht unterordnen und wandten sich deshalb an Schweden, und 1560 bestätigte Erik XIV alle ihre früheren Privilegien. 1559 waren die Stifte Oesel-Wiek - Wiek auf dem estnischen Festland - und Pilten in Kurland an den dänischen König verkauft worden, der sie seinem Bruder Herzog Magnus schenkte. Bei der Auflösung des Deutschen Ordens 1561 fiel dessen Teil von Kurland an das Herzogtum Kurland, das unter polnischer Oberhoheit stand. 1568 verlor Magnus jedoch Oesel an den schwedischen Feldobersten Claes Kursell, und 1585 fiel Pilten an das Herzogtum Kurland. In diesen verworrenen Zeiten blieb lediglich Riga unter dem deutsch-römischen Kaiser selbständig, bis es 1581 von Polen erobert wurde. Gleichzeitig eroberte der Feldherr Pontus de la Gardie Estland für schwedische Rechnung von Rußland. 1600 wurde Estland von dem schwedisch-polnischen König Sigismund Polen einverleibt. Sein Onkel Herzog Karl stieg jedoch bei Reval an Land, vertrieb die Polen und gewann den livländischen Adel auf seine Seite. Danach ging es jedoch schlechter für die Schweden und nach einer schweren Niederlage entkam Karl IX, der inzwischen König geworden war, lediglich, weil ein livländischer Adliger, der Rittmeister in schwedischem Dienst Henrik Wrede, sein Leben für ihn opferte, indem er dem umringten und verwundeten König sein Pferd gab, nachdem das Pferd des Königs gestürzt war. Von Henrik Wrede stammen alle Wredes in Schweden, Finnland und dem Baltikum.

2. Livland schwedisch

Livland

Karl IX verlor also Livland, jedoch 1621 begann sein Sohn Gustaf II Adolf mit der Wiedereroberung durch die Einnahme Rigas, das sich so tapfer verteidigte, daß Gustaf Adolf später sagte, er begehre nicht mehr Treue von Riga als die Stadt dem König von Polen gezeigt habe. (In Riga wurde die Huldigungspredigt von Pastor Hermann Samson gehalten, der zusammen mit Axel Oxenstierna in Wittenberg studiert hatte und der 1640 als Superintendent, d.h. Bischof von Livland, schwedischer Adliger wurde, obwohl die Familie erst 1974 in Schweden unter dem Namen Samson Himmelstjerna seßhaft wurde. Elf Jahre später starb die Familie in Schweden auf der männlichen Seite aus, lebt jedoch in Australien, Finnland, Frankreich, Spanien, Südafrika, Deutschland und den USA weiter.)

Nachdem Livland schwedisch geworden war, wurde 1632 die Universität in Dorpat gegründet. Viele baltische Adlige traten als Offiziere in Gustaf II Adolfs Dienste, auch solche von Oesel, welches noch dänisch war. Zu diesen gehörten Oswald Toll und drei seiner Neffen. Ein Grund für sie, in schwedischen Dienst zu treten, kann gewesen sein, daß Oswald und zwei seiner Brüder Pagen bei Henrik Falkenberg auf Salisburg in Livland gewesen waren. Henrik Falkenberg war mit seinem Vater aus der Mark Brandenburg gekommen und hatte Johan III , ab 1601 seinem Bruder Herzog Karl gedient, der ihn im darauffolgenden Jahr mit nach Schweden führte, wo ihm Trystorp bei Örebro verliehen wurde. Er ist in Örebro mit seiner Frau Elisabeth Fietinghoff begraben. Auch die Mutter von Oswald Toll und von seinen Brüdern hieß Elisabeth Fietinghof,f und es ist möglich, daß ihr Verwandter, bei dem sie als Pagen erzogen wurden, sie inspiriert hatte, in schwedischen Dienst zu treten. Von den Söhnen von Henrik Falkenberg stammen zwei Linien, die freiherrliche af Trystorp und die gräfliche af Bålby, die seitdem beide in Schweden leben.

Die Verbindungen zwischen dem baltischen Adel und Schweden waren auch offizieller Art: Bei Regierungswechseln kamen Vertreter der baltischen Ritterschaft nach Stockholm, um ihren Eid abzulegen - von der Oeselschen Ritterschaft kam somit der Landrat Christian Toll drei Mal nach Stockholm: Als der Regentschaftsrat nach dem Tode Gustaf II Adolfs antrat, bei Christinas Thronbesteigung und als Karl X Gustaf König wurde. Die Nachfahren von Christian Toll haben im Baltikum und in Finnland gelebt und leben noch in Schweden, Deutschland, Rußland und Amerika.

3. Russische Adlige im schwedischen Dienst

Nicht nur deutsche Adlige traten über das Baltikum in schwedischen Dienst. Auch russische Adlige gingen in schwedischen Dienst wie der Bojar Leontij Nasackin, der im Heere von Ivan dem Schrecklichen war, als dieser Estland verheerte, und der dort blieb und sich Grundbesitz anschaffte, und dessen Söhne in schwedischen Dienst traten. Die Nachfahren wurden im schwedischen Ritterhaus immatrikuliert, und die Familie lebte in Finnland und im Baltikum. Leontij Nasackins Tochter war mit dem Bojaren Peter Rosladin verheiratet, der ebenfalls als Oberst in schwedischem Dienst stand und dessen Sohn schwedischer Adliger wurde und Lehen in Livland erhielt. Die Familie Rosladin ist ausgestorben. Mehrere Mitglieder der Bojarenfamilie Baranoff hatten 1590 Grundbesitz in Estland und deren Nachfahren heirateten in schwedische, adlige Familien ein, wurden jedoch nicht im schwedischen Ritterhaus immatrikuliert. Auch andere ausländische Adlige kamen durch schwedischen Dienst ins Baltikum. Zu diesen gehört der Stammvater der ursprünglich schottischen Familie Löwis of Menar, der schwedischer Oberst wurde und 1630 Grundbesitz in Livland erhielt.

Nachdem Livland schwedisch geworden war, bekam es einen außergewöhnlichen schwedischen Adligen als Gouverneur, den Freiherren Bengt Oxenstierna. Er hatte an den Universitäten in Rostock, Uppsala, Wittenberg, Jena und Stuttgart studiert und danach zehn Jahre lang den Orient bereist und Jerusalem, Damaskus, Bagdad und den Hof von Schah Abbas I in Isfahan besucht. Er reiste auch in Arabien und Ägypten, wurde ins Gefängnis geworfen und von arabischen Räubern überfallen. Über diesen "Reise-Bengt" hat Sven Hedin ein Buch geschrieben. Zurückgekommen war er Gesandter in Venedig, Holland, Frankreich und Dänemark sowie Gouverneur in Augsburg. Unter seiner Oberaufsicht wählte die livländische Ritterschaft Otto von Mengden zum Landmarschall, der später schwedischer Freiherr wurde. Die Familie von Mengden blieb in Livland, ein Nachfahre wurde im achtzehnten Jahrhundert deutscher Reichsgraf und russischer Gouverneur von Livland.

Außer dem Landmarschall wählten die adligen Gutsbesitzer jedes dritte Jahr zwölf Landräte, die unter dem Generalgouverneur eine Art Regierung bildeten, und die mit zwölf Kreisdeputierten den Adelskonvent bildeten. Vier Landräte saßen im Oberlandesgericht in Dorpat, während das Kollegium der Landräte gleichzeitig als Oberlandesgericht funktionierte.

Nach dem Frieden von Brömsebro 1645 kam auch Oesel unter die schwedische Krone und die Oeselsche Ritterschaft wählte ihren Landmarschall, vier Landräte und sechs Deputierte.

Auch wenn Estland, Livland und Oesel jetzt zu Schweden gehörten, so hatte man kein Repräsentationsrecht in Stockholm. Jedoch wurden einzelne baltischeAdlige von den vielen, die die Adelgeschlechter der Provinzen der schwedischen Verwaltung und der Armee stellten, naturalisiert und im schwedischen Ritterhaus immatrikuliert.

4. Schwedische Familien im Baltikum

Umgekehrt zogen jetzt auch Schweden ins Baltikum und wurden von den baltischen Ritterschaften aufgenommen. Unter den Schweden, die ins Baltikum übersiedelten, war auch der Feldmarschall und Reichsadmiral Graf Gustaf Otto Stenbock, der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts Grundbesitz in Estland hatte. Ende des achtzehnten Jahrhunderts erbte ein Stenbock von dem russischen Feldmarschall Graf Wilhelm Fermor, englischer Abstammung, dessen Namen und nannte sich Stenbock-Fermor und ein Graf Stenbock-Fermor erbte später von seinem Schwiegervater, dem russischen General Graf Otto von Essen, von der gleichen Familie wie die schwedischen von Essen, dessen Namen und nannte sich Graf Essen-Stenbock-Fermor, eine kosmopolitische Namenskombination, die zeigt, wie europäisch der baltische Adel war. Eine andere schwedische Familie, von Svensby in Wermland, aus der Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Erzbischof Olaus Swebilius stammte, dessen Kinder als Adlerberg geadelt wurden, kam mit dem Enkel des Erzbischofs nach Estland, und dessen Enkel, der russische General und Minister Graf Vladimir Adlerberg war mit Kaiser Nikolaj I eng befreundet.

Andere schwedische Familien, die ins Baltikum zogen, waren Bagge af Boo, Baggehufvudt, Baumgarten, Campenhausen, Gavel (Gavelius, gleicher Ursprung wie Adelstierna, Cederschiöld und Cronstedt), Gyldenstubbe und Igelstrom (gleicher Ursprung wie Appelbom, Fägerstierna und Strömfelt). Aber die Meisten in der Verwaltung im Baltikum waren Einheimische, manchmal sogar der Gouverneur von Estland in Reval und der Generalgouverneur von Livland und Ingermanland in Riga. Die Verwaltung, das Rechtswesen, das Schulwesen und das Gemeindewesen waren nach schwedischem Muster organisiert und verblieben es so bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts.

Im Entgelt wurden Estland und Livland Schwedens Kornkammern und die adligen Familien der Provinzen stellten eine Reihe von Beamten und Offizieren für die schwedische Verwaltung und Armee - über die Hälfte des schwedischen Offizierkorps sollen baltisch gewesen sein. Zehn schwedische Feldmarschälle waren im Baltikum geboren: Herman Wrangel (dessen Sohn Carl Gustaf auch Feldmarschall wurde und Skokloster bauen ließ), Fabian von Fersen und sein Vetter Otto Wilhelm von Fersen, Rutger von Ascheberg, Johan Jakob Hastfehr, Carl Gustaf Dücker, Berndt Otto Stackelberg, Carl Henrik Wrangel, Gotthard Wilhelm Marcks von Württemberg, Samuel Gustaf Stierneld und weitere sieben Feldmarschälle hatten Väter, die im Baltikum geboren waren; außer Carl Gustaf Wrangel auch Hans Wachtmeister, Gustaf Adam Taube, vermutlich Mathias Alexander von Ungern-Sternberg, Fredrik Axel von Fersen, Bernhard Otto Stackelberg und Johan Christopher Toll.

Ich kann auch Gustaf Adolf von der Osten-Sacken erwähnen, der Landeshauptmann auf Gotland und schwedischer Freiherr wurde und dessen Vater in Kurland geboren war, und Christian Albert Grotthuss aus einer livländischen Familie, der schwedischer Oberst und einer der engsten Freunde von Karl XII in Bender war, wo er die Geschäfte des Königs und die Verhandlungen mit dem Sultan führte. Als das türkische Heer sich vor dem Handgemenge um das Haus des Königs gestellt hatte, ging Grotthuss allein und unbewaffnet zu den Janitscharen und konnte so den Anfall einige Tage hinausschieben.

5. Die Reduktion Karl XI

Unter Karl XI sollte die Reduktion, die Einziehung aller von der Krone verliehenen Güter, auch in Livland durchgeführt werden. Als Vertreter der livländischen Ritterschaft kam Johan Reinhold Patkul 1690 nach Stockholm. Er gehörte zu einer Familie, die seit dem vierzehnten Jahrhundert in Livland lebte, welche jedoch seit 1866 ausgestorben ist. Eine andere Linie der Familie gehörte zum schwedischen Adel, und ein Patkul wurde 1716 schwedischer Freiherr, starb jedoch sieben Jahre später kinderlos. Johan Reinhold Patkuls Bemühungen während der mehr als einjährigen Verhandlungen konnten die Reduktion nicht verhindern. Eine neue Bittschrift verärgerte den König so sehr, daß Patkul verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Patkul floh jedoch und reiste nach Polen, um mit polnischer Hilfe Livland von Schweden zu lösen. Karl XII gelang es, Patkul nach einem Frieden mit König August ausgeliefert zu bekommen, und er ließ ihn als Landesverräter hinrichten. Die Deutschbalten haben lange Patkul als einen livländischen Idealisten angesehen, später jedoch wurde er als rücksichtslos und intrigierend aufgefasst.

Trotz der Reduktion und obwohl Karl XI das Selbstbestimmungsrecht des livländischen Adels aufgehoben hatte, verblieb die baltische Ritterschaft der schwedischen Krone treu, und in den Kriegen Karls XII sollen drei Fünftel seines Offizierkorps aus baltischen Adligen bestanden haben, von deren Nachkommen später viele zum schwedischen Adel gehörten. Wrangell war wohl die Familie, die der Armee Karls XII. die meisten Offiziere stellte: laut Lewenhaupts "Die Offiziere Karls XII" 79, 54 der Offiziere hießen Taube und 44 Rehbinder, 24 Pahlen, 22 Fitinghoff und Ungern, 20 Fock, Toll und Yxkull usw.

6. Die Niederlage von Karl XII

Nach der Niederlage Karls XII untergaben die baltischen Provinzen sich Peter dem Großen, der die Rechte der Ritterschaft bestätigte und die Reduktionwiderrief. Von den Mitgliedern der adligen Familien verblieben ein Teil im Lande, während andere nach Finnland oder dem eigentlichen Schweden übersiedelten.

Eine Ritterschaft als Korporation wird in dänischen Urkunden bereits in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts erwähnt, und im vierzehnten Jahrhundert erhielten sowohl die dänischen Vasallen wie auch die Vasallen des Deutschen Ordens ihre Rechte kodifiziert. Das letzte Mal wurden sie vom russischen Kaiser 1845 bestätigt. Von 1561 bis 1918 wurde das Baltikum praktisch von den verschiedenen Ritterschaften unter dänischer, polnischer, schwedischer und zuletzt russischer Oberhoheit regiert. Das Gebiet der Livländischen Ritterschaft war das heutige südliche Estland und das nördliche Lettland. Eine Matrikel über die Mitglieder der Livländischen Ritterschaft wurde 1747 erstellt. Das Gebiet der Estländischen Ritterschaft war das nördliche Estland außer Oesel, und sie erhielt ihre Matrikel 1756. Die Kurländische Ritterschaft im südlichen Lettland bestand ursprünglich aus zwei Ritterschaften, die ihre Matrikeln bereits 1634 erhielten. 1809 wurden diese in einer Ritterschaft vereinigt, deren Matrikel 1841 revidiert wurde. Die Oeselsche Matrikel ist von 1741. Eine Aufgabe der Matrikeln war, den russischen Beamtenadel auszuschließen.

Um in eine Matrikel aufgenommen zu werden mußte man seinen Adel nachweisen und in Livland und auf Oesel auch Gutsbesitzer sein. Die vier Ritterschaften hatten je ein Ritterhaus, das livländische in Riga, das estländische in Reval, ein kleines, grünes Palais auf dem Domberg, das jetzt Kunstmuseum ist, das kurländische in Mitau und das Oeselsche in Arensburg, wo die mittelalterliche Bischofsburg als Ritterhaus diente.

Jeder Gutsbesitzer war Mitglied des Landtages. Es waren die Ritterschaften, die für das Rechts-, Polizei- und Verwaltungswesen die Verantwortung trugen (bis 1889, als die Russifizierung begann), und die die Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Straßen unterhielten. Alle Ämter waren Ehrenaufträge und somit unbesoldet. Der historisch vielleicht größte Einsatz der Ritterschaften war die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern 1816-1819, mehr als 40 Jahre vor der Aufhebung im übrigen russischen Reich.

7. Das zwanzigste Jahrhundert

In den Jahren 1919 und 1920 lösten die neuen Republiken Lettland und Estland die Ritterschaften auf und konfiszierten die Güter der deutschsprachigen Gutsbesitzer. Die Ritterschaften wurden danach mit ebenso vielen Verbänden weitergeführt, die die Traditionen aufrechterhielten, die Matrikeln weiterführten und ein genealogisches Handbuch herausgaben. 1939 wurde die deutschsprachige Bevölkerung durch den Molotov-Ribbentroppakt gezwungen, das Baltikum zu verlassen, und die Verbände hörten auf zu existieren.

Im Jahr1949 erstanden die baltischen Ritterschaften neu in Form eines Vereins, "Verband der Baltischen Ritterschaften", welcher die vier Ritterschaften umfaßt, jedoch auch in zehn Bezirksgruppen aufgeteilt ist, wie zum Beispiel die in Deutschland in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin und jetzt auch eine in dem ehemaligen Ostdeutschland. Andere findet man außerhalb Deutschlands in Schweden und Kanada. Außer den Jahrestreffen der Bezirksgruppen und anderen örtlichen Zusammenkünften hält man jährliche Verbandstage mit Ball in Deutschland. Ein neues Ritterhaus haben die Baltischen Ritterschaften geschaffen, indem man das Schloß Höhnscheid in der Nähe von Kassel gepachtet hat. Das "Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften" erscheint vierteljährlich und enthält Artikel über den baltischen Adel, dessen frühere politische und kulturelle Bedeutung, über die Jugendarbeit und andere Tätigkeiten innerhalb des heutigen baltischen Adels, Referate von Treffen, Mitteilungen über Tote, Geborene und Heiraten, Buchbesprechungen usw.

Ich habe versprochen, mit einigen Worten die Hilfsmittel zur Forschung über baltische adlige Geschlechter zu beschreiben. Zuvor kommt jedoch ein leichteres Zwischenspiel.

8. Ein leichteres Zwischenspiel

Ich erwähnte, daß viele baltische Adlige nach Finnland oder Schweden zogen, als das Baltikum russisch wurde. An ihrer Stelle kamen einige russische Geschlechter ins Baltikum, darunter solche islamischer Abstammung wie Baranow, deren tatarischer Stammvater sich im fünfzehnten Jahrhundert taufen ließ. Dadurch daß der Landesverräter Gustaf Johan Gyllenstierna sich um 1750 nach Rußland begab, wo seine Tochter einen Baranow heiratete, haben unter anderem Mitglieder der baltischen Familien Baranow, Rehbinder und Toll sowie der russischen Familie Scharnhorst auch schwedische Verwandschaftsverhältnisse.

Der russische Graf Kutaissow mit Grundbesitz in Kurland war als türkischer Junge 1773 von den Russen gefangen genommen worden. Er begann seine Laufbahn als Kammerdiener bei dem späteren Kaiser Paul, in dessen Gunst er so sehr stieg, daß er Hofjägermeister mit dem Rang eines Generalleutnants wurde und hohe Orden erhielt und zu großem Reichtum kam und schließlich zum Grafen erhoben wurde. Als der russische Feldherr Suworow 1799 nach seinen Siegen über die Franzosen in Italien nach Petersburg kam, erhielt Kutaissow den Auftrag, ihn zu empfangen, und von deren Begegnung wird folgendes erzählt:
Der Feldmarschall begann: "Entschuldigen Sie gütigst, Herr Graf, einen armen Greis, dessen Gedächtnis nachläßt - ich erinnere mich nicht mehr des Ursprungs Ihrer erlauchten Familie. Ohne Zweifel haben Sie den Grafentitel für einen großen Sieg erhalten?" "Ich bin niemals Militär gewesen, mein Fürst", antwortete Kutaissow. "Dann sind Sie sicherlich Gesandter gewesen?" - "Nie, mein Fürst." - "Minister?" - "Ebenso wenig." - Welchen wichtigen Posten haben Sie denn eingenommen?" - "Ich hatte die Ehre, Kammerdiener Seiner Majestät zu sein." - "Ah, das ist sehr ehrenwert, Herr Graf!", rief der boshafte Suworow, klingelte seinem Kammerdiener und sagte: "Troschka! täglich wiederhole ich Dir, du dürftest nicht mehr trinken und stehlen, aber du willst nicht auf mich hören. Sieh nun einmal den Herrn da: er war Kammerdiener wie Du, aber da er nie betrunken war und nie stahl, so ist er heute Oberstallmeister Seiner Majestät, Ritter aller russischen Orden und Reichsgraf. Suche seinem Vorbilde nachzuahmen!"

Umgekehrt siedelten baltische Adlige in das eigentliche Rußland um und wurden russifiziert und erreichten hohe Posten. Uns interessieren hiervielleicht vor allem die, die auch zum schwedischen Adel gehörten. Ich habe den General Graf Adlerberg erwähnt. Ich kann noch zwei Damen nennen: Julia von Baranow, geborene Adlerberg, erzog die Töchter von Kaiser Nikolaj I und wurde mit ihren Söhnen in den Grafenstand erhoben. Und die Generalin OlgaPistolkors vermählte sich nach ihrer Scheidung mit einem Großfürsten Paul und erhielt 1915 den Titel Fürstin Palei.

9. Die Familie Toll

Es liegt nahe, auch ein Beispiel aus meiner Familie zu nennen. Nachdem das Baltikum 1721 russisch geworden war, siedelten zwei Brüder Toll nach jahrelanger sibirischer Gefangenschaft um, der eine nach Finnland und der andere nach Schweden, wo sie je eine finnländische und eine schwedische Linie begannen, und der Sohn eines Vetters von ihnen zog nach Preußen, wo drei Nachkommen Generäle wurden. Zu denen, die im Baltikum verblieben, gehörte eine estländische Linie, und ein Mitglied dieser Linie, Karl Toll, wurde russischer General und zeichnete sich in den Kriegen gegen Napoleon aus. Dieser Karl Toll, der russischer Graf wurde, kommt in Tolstoys "Krieg und Frieden" vor. Nach der Schlacht bei Leipzig 1813 stieß er mit einem seiner preußischen Verwandten zusammen, der General in französischem Dienst war. Noch im Ersten Weltkrieg kam es vor, das Mitglieder gleicher Geschlechter auf beiden Seiten kämpften.

Witze über Namen sind nicht ungewöhnlich. Einer, der in baltischen Kreisen gern erzählt wurde und sich auf drei bekannte baltische und schwedische Familien bezieht, ist der von Noah. Als dieser die Arche beladen hatte und abgesegelt war, sah er einen Mann ihm nachschwimmen, der ihn bat mitgenommen zu werden. "Ungern", sagte Noah auf Deutsch. - "Ja, ich bin Ungern-Sternberg", sagte der Mann und durfte mitkommen. Aber da tauchte noch einer auf und Noah sagte verärgert, jetzt auf estnisch, "Üx küll", was "noch einer" bedeutet, - "Ja, ich bin ein Uexküll", und er durfte auch an Bord der Arche kommen. Jedoch kam da ein Dritter geschwommen, und Noah, jetzt richtig böse, schrie: "Sind Sie toll!" - "Ja, ich bin Toll aus Kuckers", und das sollen somit die drei ältesten baltischen Familien sein, die von vor der Sintflut stammen. Uexküll und Ungern gehören jedenfalls zu denen, die bereits im dreizehnten Jahrhundert in Livland lebten; die Tolls kamen erst in der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts nach Oesel, in letzter Stunde um mit zu den Familien gezählt zu werden, die schon zur Zeit des Deutschen Ordens dort lebten.

10. Wappen

Auch ein Wappen kann manchmal Anlaß zu Lustigkeiten geben. Die baltische Familie Anrep, die einen Kamm in ihrem Wappen hat, kam im siebzehnten Jahrhundert nach Schweden und ist wohl am besten bekannt geworden durch Anreps Ahnentafeln, die 1858-1864 von Gabriel Anrep, dem Gründer der modernen schwedischen Ahnenforschung, herausgegeben wurden. Von einem Herrn von Anrep aus dem Baltikum wird berichtet, daß er als Gast zu einem Gut kam und beim Empfang vom Hausherrn gefragt wurde, wo er sein Gepäck hätte. "Ich habe alles bei mir", antwortete er. "Ich verstehe", sagte der Hausherr, "die Zahnbürste in der Tasche und den Kamm im Wappen."

Ein eigenartiges Wappen hat die Familie Rehbinder, deren Stammvater 1404 Vasall des Deutschen Ordens in Kurland war, und die 1680 die schwedische freiherrliche Würde erhielt: Es hat drei gekrönte Dreien im Schild. Man hat gesagt, daß diese auf die Dreieinigkeit anspielen. Sieht man sich jedoch ältere Abbildungen des Wappens an, zeigt es sich, daß das Wappen eigentlich drei gekrönte Schlangen enthält, die man offensichtlich später als Dreien mißverstanden hat. Laut einer alten, unwahrscheinlichen Überlieferung soll die Familie eigentlich Drebinder geheißen und drei Bänder im Wappen gehabt haben. Im übrigen hat diese Familie außer vier schwedischen und 22 russischen Generälen auch einen sardinischen Feldmarschall gehabt.

Die Rehbinder gehören zu den Namen, die in Schweden und im Baltikum unterschiedlich ausgesprochen werden: in Schweden Rehbínder und im Baltikum Réhbinder. Dasselbe gilt z. B. dem Namen Stackelberg, der im Baltikum mit einem langen und in Schweden mit einem kurzen a ausgesprochen wird, und dem Namen Vegesack, der im Baltikum wie geschrieben, in Schweden aber Fejsack ausgesprochen wird, und Taube, der in Schweden auf französich ausgesprochen wird (Tôb), obwohl er weder französisch noch deutsch ist, sondern von dem dänischen Vornamen Tuve stammt.

Wenn ich hier über die Aussprache der Namen spreche, möchte ich auch etwas über die Partikel "von" sagen. Carl Gustaf Toll, der Stifter des Fideikommißes Kuckers in Estland, schrieb an einen Sohn des Generals Georg Heinrich Toll in Hessen 1789 einen Brief, in welchem er über die Verhältnisse der Tolls im Baltikum berichtet, und den er mit den Worten schließt: "Von hier schickt man die Briefe über Duderstadt nach Hessen und kann nur bis dahin frankieren, auch merke ich an daß alle alten Familien hier nicht das von vor ihren Namen setzen weil sich itzt alles von nennen will."

Dieses wurde 1789 geschrieben - es war also erst in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, daß man im Baltikum "von" vor den Namen setzte. Dieses wird dadurch bestätigt, daß die Familien, die vom Baltikum nach Schweden kamen und hier im Ritterhaus immatrikuliert wurden, im Allgemeinen kein "von" vor ihren Namen haben, z. B. Falkenberg, Fitinghoff, Klingspor, Koskull, Löwen, Maydell, Rehbinder, Sack, Sass, Stackelberg, Strijk, Toll, Yxkull - es gibt ja in Stockholm die Vollmar Yxkullsstraße. Die Knorrings wurden 1672 als Knorring introduziert, jedoch eine andere Linie 1756 als von Knorring - da fing man offensichtlich an, sich "von" zu nennen. Hinter dem Titel Baron steht nie "von", aber immer hinter Freiherr, mit wenigen Ausnahmen wie Freiherr Knigge, eine deutsche Familie, die erst während der russischen Zeit nach Kurland kam. In Deutschland ist Knigge zur Bezeichung eines Buches der Etikette geworden, das ein Knigge im achtzehnten Jahrhundert verfaßt hatte.

Ich sagte eingangs, daß das Baltikum im Mittelalter keineswegs isoliert von Europa war. Zur russischen Zeit hatte es der baltische Adel nahe zur Hauptstadt Sankt Petersburg, die ja eine europäisch geprägte Stadt war. Und wie die russischen Adligen - und die schwedischen - unternahm man Bildungsreisen auf dem europäischen Kontinent. Als Beispiel für die kulturellen Verbindungen des baltischen Adels zur russischen Zeit möchte ich Reinhold Friedrich von Berg nennen, der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Romund Paris besuchte. In Rom lernte er Johann Joachim Winckelmann kennen, den Gründer der kunstarchäologischen Wissenschaft und den Schöpfer des Neuklassizismus, der ihm die Kunstschätze Roms zeigte und der ihn liebte als seinen besten Freund. Ein Treffen in Holland am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zwischen einer Familie Vietinghoff (dem Musiker Conrad und seiner Frau Jeanne und deren Sohn Egon, später Maler) hatte große Bedeutung für die Verfasserschaft der belgischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar.

Die Verbindungen mit Schweden blieben bestehen. Russischer Minister in Stockholm um 1790 war der kurländische Adlige und schwedische Freiherr General Peter von der Pahlen, der später Gouverneur von Kurland wurde und russischer Graf. Der Urkundenforscher und -herausgeber Oberst Robert v. Toll auf Kuckers in Estland, der im neunzehnten Jahrhundert alles sammelte, was er über Estlands und Livlands Geschichte finden konnte, besuchte Stockholm, um hier im Reichsarchiv zu forschen.

Bezüglich der Verbindungen des baltischen Adels mit Schweden in der Neuzeit kann daran erinnert werden, daß die Mutter von Staatsminister Palme eine geborene von Knieriem war, und daß Olof Palme Kindheitserinnerungen von den Sommern im Baltikum vor dem Zweiten Weltkrieg hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand in den "Mitteilungen des Ritterhauses" ein Aufruf um Hilfe für den baltischen Adel, und über einen der Unterzeichner kam ich selbst in Verbindung mit baltischen Verwandten, die nunmehr in Deutschland lebten. Der Tollsche Familienverband wurde 1953 gegründet, teilweise um es zu erleichtern, die landesflüchtigen und verarmten baltischen Verwandten finanziell und moralisch zu unterstützen. Auch andere Familienverbände haben sowohl schwedische wie baltische Mitglieder, wie der Wrangelsche und der Stackelbergsche. Einige baltische Familien konnten, sich auf ihren schwedischen Adel berufend, nach mehr als zweihundert Jahren im Ritterhaus in Stockholm introduziert werden: Gentzschein 1967 (es war Thomas Gentzschein auf Dagö, Hofmeister des Generalgouverneurs Jacob De la Gardie, der 1650 geadelt wurde), von Rosen af Kardina 1971 und Samson Himmelstjerna 1974.

In der heutigen Zeit haben die baltischen und schwedischen Ritterschaften nahe Verbindungen zu einander, teils offiziell durch gegenseitige Besuche zwischen der Direktion des schwedischen Ritterhauses und der Führung der Baltischen Ritterschaften, teils durch die schwedische Bezirksgruppe der Baltischen Ritterschaften und nunmehr auch durch die baltische und die schwedische adlige Jugendarbeit. Die Baltischen Ritterschaften gehören zum Deutschen Adelsverband, und dieser ist wie das schwedische Ritterhaus in dem Organ für Zusammenarbeit des europäischen Adels CILANE, Commission d'Information et de Liaison des Associations Nobles d'Europe, engagiert.

11. Deutschbaltische adlige genealogische Forschung

Der Ausgangspunkt für die folgenden Bemerkungen über die genealogische Forschung hinsichtlich des deutschbaltischen Adels ist ein kleines Buch von Ernst von Mühlendahl, Die baltischen Ritterschaften, Glücksburg 1953 (neue Ausgabe 1973), welches eine Übersicht ist über alle immatrikulierten baltischen adligen Familien unter Angabe, wann und wo die Familie zuerst erwähnt wurde, des Stammvaters, wer geadelt wurde und wer eine höhere Würde erhielt, wann und in welcher Ritterschaft die Familie immatrikuliert wurde, mit einer Beschreibung des Wappens und einem Hinweis auf genealogische und heraldische Werke.

Mehrere solche Werke sind leicht zugänglich im Lesesaal der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Vor allem muß das Genealogische Handbuch der Baltischen Ritterschaften mit den verschiedenen Teilen für die vier Ritterschaften erwähnt werden. Die Familien, die auch in Schweden und Finnland introduziert wurden, findet man in Elgenstiernas und Carpelans Stammtafeln. Diese drei Standardwerke sind nicht ganz neu: Genealogisches Handbuch der Baltischen Ritterschaften kam 1929-1939 heraus mit einem Anhang zum Oeselteil 1968, Elgenstierna erschien 1925-1936 und Carpelan 1954-1966. Sie können ergänzt werden mit dem Genealogischen Handbuch des deutschen Adels ab 1951, mit einem Register vom Jahr 2000 über die bis dahin erschienenen Teile - hier findet man viele baltische Familien verzeichnet wie in dem Vorgänger, dem Gothaischen Handbuch. Zum Genealogischen Handbuch des deutschen Adels gibt es auch ein Adelslexikon, welches alle deutschen adligen Familien alphabetisch verzeichnet mit Angabe der ersten Erwähnung, des Stammvaters, wer wann geadelt wurde, Erhöhung in höhere Würde, Wappenbeschreibung und Literatur. Das Adelslexikon ist mit Band 12 bis zur Familie Schmude angelangt. Für Elgenstierna findet man Ergänzungen in der Zeitschrift Släkt och Hävd des Genealogischen Vereins und in den Stammtafeln im Ritterhaus. Von Elgenstierna wurde eine CD herausgegeben mit einem Ergänzungsteil.

Ältere Arbeiten findet man in bibliographischen Werken wie F. Wecken, Familiengeschichtliche Bibliographie, herausgegeben in Leipzig, die Jahre 1897-1937 umfassend, und für die Zeit vor 1897 bei O. Gundlach, Bibliotheca familarium nobilium, 3. Auflage 1897 - beide enthalten auch bürgerliche Geschlechter.

Die Wappen der baltischen Familien findet man in Klingspors Baltisches Wappenbuch von 1883 und in seinem Nachfolger, Patrick von Glasenapps Baltisches Wappenbuch von 1980, und in Siebmachers altem Wappenbuch, ebenfalls in der Galerie der Königlichen Bibliothek vorhanden.

Wer lebte einst wo in Reval? "Ein Führer zu den historischen Wohnstätten deutschbaltischer Familien im alten Reval." Der erste Teil, mit den estnischen und den alten deutschen Straßennamen, verzeichnet die Häuser auf dem Domberg und die Familien und Personen mit Jahreszahlen und einem Straßenplan vom Domberg und kann als Computerausdruck zu einem Preis von EUR 10 vom Verfasser bezogen werden: Peter v. Weymarn, Am Glückshaus 16, D-53179 Bonn.

12. Bücher über adlige Familien

Für viele Familien gibt es Geschlechterbücher. Ich kann hier lediglicheinige nennen wie H. von Bruiningks Geschichte der Familie Bruiningk in Livland, Släkten Taube von A. Taube von 1913 und dem folgenden Buch mit gleichem Titel des Sohnes B. Taube von 1939, Ätten Rehbinder von 1925 von einem Verfasser gleichen Namens, M. von Taubes Die von Uxkull, 1-3, 1930-1955, und S. Grauers, Ätten Wachtmeister genom seklerna 1(-4), 1932(-56). Viele andere Bücher aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg über adlige, deutschbaltische Geschlechter findet man in einem Aufsatz von O. Welding, Das baltische Genealogische Schrifttum 1700-1939 in Schrifttumberichte zur Genealogie, 1958 herausgegeben vom Verlag Degener in Neustadt/Aisch.

In Deutschland gibt es einen Buchhändler, der sich auf deutschbaltische Literatur spezialisiert hat, Harro von Hirschheydt, Neue Wiesen 6, D-30900 Wedemark-Elze. Der führt auch neuere baltische Literatur sowie z.B. das Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960, von 1970 mit 3600 Biographien (Euro 150) und eine Reihe älterer geschichtlicher Biographien in Neudruck.

13. Zeitschriften

Einige Zeitschriften sollten erwähnt werden wie Das Inland 1836-1863, Baltische Monatsschrift, die ab 1859 gedruckt wurde, Jahrbücher für Genealogie, Heraldik und Sphragistik, die 1893-1914 in Mitau erschienen, und Baltische Familiengeschichtliche Mitteilungen 1-9, Dorpat 1931-Posen 1940. Heute werden herausgegeben Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften und die mehr bürgerlichen Baltischen Briefe.

Man kann sich auch an die Vertreter der jetzt lebenden Geschlechter wenden. Mehrere Familien haben genealogisch interessierte Mitglieder, die auch Bescheid wissen, ob die Familie ein Familienarchiv hat. Die Genealogen der verschiedenen baltischen Ritterschaften bemühen sich, die gedruckten Genealogien im "Genealogischen Handbuch der Baltischen Ritterschaften" fortzusetzen: für Livland Arved von Oettingen, Ringstraße 10, D-37281 Wanfried, für Estland Dr. Walter von Hueck, Schwalbenweg 14, D-35043 Marburg, für Kurland Klas Lackschewitz, Winterweg 4, D-79737 Herrischried, und für Oesel Baron Konrad-Udo von Vietinghoff-Scheel, Nelkenweg 8, D-56581 Ehlscheid. Die Ritterschaften haben ihre Archive in Marburg, wo sich auch das Archiv des Deutschen Adelsverbandes befindet. Der Archivar der baltischen Ritterschaften ist Dr. Manfred von Boetticher, Königsworther Straße 10, D-30167 Hannover. Die baltischen Ritterschaften haben auch eine Webseite, www.baltische-ritterschaften.de.

14. Urkundenpublikationen

So sind wir zu Studien der Archive und Urkunden gekommen. Ehe man jedoch direkt in die Archive geht, kann man die Urkunden studieren, die publiziert sind, vor allem in:

15. Archivstudien

Für die dänische Zeit des Baltikums während des sechszehnten Jahrhunderts liegt das meiste Material im Rigsarkiv in Kopenhagen nahe am Schloß Christiansborg. Akten, die ebenfalls aus dem sechszehnten Jahrhundert und bis zur Zeit, als das Baltikum russisch wurde, stammen, liegen in der Livonicasammlung im schwedischen Reichsarchiv. Für die Archive im Baltikum gibt es eine Übersicht in "Arkiv, samhälle och forskning", 1991, Heft 1, von dem damaligen Kriegsarchivar, jetzigen Reichsarchivar Erik Norberg. In Reval gibt es das alte Stadtarchiv, Zollstraße 4/6 (estnisch: Tolli tänav), mit Akten zu Revals Geschichte ab dem dreizehnten Jahrhundert. Hier liegen auch die Kirchenbücher der Ritter- und Domkirche, Olai und Nikolaj. Es gibt einen gedruckten Katalog: G. Hansen, "Katalog des Revaler Stadtarchivs", Reval 1924. Im Historischen Museum in der Pikkstraße (estnisch: Pikk tänav) liegen ebenfalls Archivalien von genealogischem Interesse und eine Photosammlung mit Porträts.

Das wichtigste Archiv in Estland ist das Historische Archiv in der Liivstraße (estnisch: Liivi tänav) in Dorpat mit Akten von 1240 bis 1940. Das Archiv liegt in einem roten Ziegelbau aus dem neunzehnten Jahrhundert - man geht über den Domberg an der Ruine der Domkirche vorbei und unter zwei Brücken und nach rechts. Die Öffnungszeit ist großzügig: von 9 bis 19 Uhr. Die Akten aus der Schwedenzeit sind in einem Katalog von 1936 von Otto Liiv aufgezeichnet ("Katalog des estländischen Generalgouverneursarchives aus der schwedischen Zeit" 1-2). Im Archiv lagern auch die alten Archive der estländischen Ritterschaft und viele Personenakten von Mitgliedern der Häuser Wrangel, Pistolekors, Ungern-Sternberg und Stackelberg. Die Sammlung Törnes enthält eine Menge biographischer Notizen aus Kirchenbüchern, Todesanzeigen, biographische Zeitungsartikel usw vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Hier gibt es auch ein Photoarchiv.

Ein Familienarchiv derer De la Gardie befindet sich in der Universitätsbibliothek in Dorpat, behandelt von J. Lossius, "Die Urkunden der Grafen De la Gardie..", 1882, und B. Cordt, "Zur Geschichte des Adelsgeschlechtes und Familienarchives der Grafen De la Gardie", 1893. Die Universitätsbibliothek ist ein großer, moderner Bau am anderen Ende der Universitätsstraße als die Universität. Hier gibt es ebenfalls eine Photosammlung.

Ich besuchte die erwähnten Archive in der letzten Woche. Überall gibt es hilfsbereites und freundliches Personal, das entweder Englisch oder Deutsch spricht, in einigen wenigen Fällen sogar Schwedisch. Es gibt auch die Möglichkeit, Akten und Urkunden kopieren zu lassen.

Das Archiv des livländischen Generalgouvernements lagert hauptsächlich im Zentralarchiv in Riga und ist 1908 von F. Bienemann katalogisiert worden. In Riga befinden sich auch die Reste des Archives der livländischen Ritterschaft und des Archives des kurländischen Herzogtums. Hier soll es auch eine große Sammlung zur Personengeschichte geben, "Materialien zur Personenkunde Rigas und der baltischen Provinzen" von A. Buchholtz. Riga habe ich jedoch nicht selbst besucht.

Kenéz, Csaba János % Peter Wörster, "Archivbestände zur Geschichte Est-, Liv- und Kurlands in der Dokumentensammlung des Herder-Instituts" (Sammlungen des Herder-Instituts zur Ostmitteleuropa-Forschung), Marburg 2000. Diese Dokumentensammlung enthält u.a. Familienarchive und Kopien aus den Archiven in Reval, Dorpat und Riga. Die Übersicht über die Sammlung gibt die heutigen Standorte der Originale an, teilt Literaturnachweise mit und schließt mit einem umfassenden Personen- und Ortsregister.

16. Über den Autor

Dr. Christopher v. Toll wurde 1931 in Stockholm geboren und ist Dr. phil. habil. und Privatdozent an der Universitet Uppsala, o. Professor em. für semitische Philologie an der Universität Kopenhagen und Mitglied der kgl. Dänischen Akademie der Wissenschaften. Seit 1977 vertritt er seine Familie auf den Adelstagen im schwedischen Ritterhaus und war 1992-1998 Mitglied des Ritterhausausschusses als Bearbeiter u.a. genealogischer und heraldischer Angelegenheiten. Er ist auch Mitglied der Oeselschen Ritterschaft und des Vorstandes der Baltischen Ritterschaften in Schweden und hat mit adels- und familiengeschichtlichen Aufsätzen im "Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften" beigetragen. Dr. Christopher Toll starb am 17.10.2015 in der Hansestadt Hamburg.



Übersetzung von Jürgen Weigle

Copyright © Christopher Toll